Wenn euch ein kleines hübsches Büchlein mit vielen leeren und auch bunten Seiten in die Hand gedrückt wird, handelt es sich wahrscheinlich um ein Poesiealbum, in das auch ihr euch eintragen sollt. Ein Poesiealbum ist eine Art Freundschaftsbuch. Da hinein schreibt man Sprüche und gute Wünsche, um so in ewiger Erinnerung beim Besitzer des Albums zu bleiben. Dieser Brauch hat eine Jahrhunderte alte Tradition.
Den ältesten Vorläufer des Poesiealbums gab es schon im 16. Jahrhundert: das Stammbuch. Man nannte es auch "album amicorum". Das ist lateinisch und bedeutet: "Album der Freunde". Ins Stammbuch schrieb man einer anderen Person eine Widmung mit seinem Namen, Wappen und Sprüchen.
Allerdings war das damals nur unter Studenten üblich. Denn nur Studenten aus gutem Hause besaßen ein solches Album, in dem Professoren und Studienkollegen ihnen Wünsche oder Zitate widmeten. An der Anzahl der Einträge konnte man sehen, wie beliebt eine Person war. Je mehr Einträge ein Student in seinem Stammbuch hatte, desto größer war sein Ansehen. Das Album diente also auch als Empfehlungsschreiben und machte anderen Personen deutlich, wie anerkannt jemand war.
Mit der Zeit wurde der Gebrauch des Stammbuchs immer beliebter. Nicht mehr nur Studenten besaßen welche, sondern der gesamte Adel. Die Alben erfüllten auch hier denselben Zweck: Sie zeigten, wie bedeutend die gesellschaftlichen Kontakte einzelner Personen waren und galten somit als Beweis für ihr Ansehen.
Auch die Einträge wurden immer aufwendiger und bunter. Neben Wappen verzierte man die Seiten nun mit lustigen Freundschaftstempeln, Porträt-Silhouetten und Zeichnungen.
Dabei unterschieden sich Frauenstammbücher meist von Männerstammbüchern. Die Stammbücher der Damen wurden mit getrockneten Blüten, Seidenstickereien und geflochtenen Haarlocken verziert.
Erst viel später – im 19. Jahrhundert – fingen auch Menschen anderer gesellschaftlicher Schichten an, Stammbücher zu nutzen. So wurden sie zu dem, was wir heute noch kennen: zu reinen Freundschaftsbüchern. Da das Album meist mit Sprüchen, Gedichten und Lebensweisheiten versehen wurde, mit Poesie also, wurde es seither Poesiealbum genannt.
Im 20. Jahrhundert dann war das Poesiealbum besonders bei Jugendlichen und Kindern beliebt. Inzwischen gibt es auch Freundschaftsbücher mit vorgedruckten Fragen – eine beliebte Variante für die, die ihren Eintrag nicht so gerne selber gestalten.
Übrigens: Der Besitzer eines Poesiealbums gibt auf der ersten Seite oft einige Regeln mit einem eigenen Spruch bekannt: "Liebe Leute groß und klein, haltet mir mein Album rein. Reißet keine Blätter aus - sonst ist die Freundschaft mit uns aus!"